Psychologie Kulturkritik

Aggression & Depression

26 April 2017

Markus Thiele

Aggression & Depression

In der Literatur kristallisieren sich im Wesentlichen drei große aggressionstheoretische Modelle heraus: Triebtheorien, Frustrationstheorien und Lerntheorien. Während bei letzteren vermutet wird, dass ein großer Teil des aggressiven Verhaltens durch Beobachtung erlernt wird, geht man bei den Frustrationstheorien von Einschränkungen eines Bedürfnisses oder einer Störung einer zielgerichteten Aktivität aus, wodurch oftmals Aggressionen hervorgerufen werden. Zumeist kann die Wut nicht an dem für die Frustration Verantwortlichen ausgelassen werden, sodass Ersatzobjekte das Ziel aggressiver Handlungen werden und eine Verschiebung der Gefühle stattfinden muss.

Sigmund Freud ging hingegen in seiner Triebtheorie ab Anfang der zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts von einer angeborenen Neigung des Menschen zur Aggression, Destruktion und Grausamkeit aus, deren Quelle Triebe sind. Er differenzierte in Triebe, die erhalten und vereinigen wollen, wie erotische oder sexuelle, und diejenigen, die zerstören und töten wollen. Letztere fasste er als Aggressionstrieb oder Destruktionstrieb zusammen. Den Aggressionstrieb sieht er als einen nach außen gerichteten Todestrieb, der als Ziel die Zerstörung eines Objektes hat. Dieser sei angeboren und ihn besäßen alle Lebewesen, Mensch und Tier. Freud sah keinen einfachen Ausweg, der Aggression wirkungsvoll entgegentreten zu können. Nach seiner Auffassung müssen Aggressionstriebe in nutzbringende Bahnen gelenkt werden, um keinen Schaden anzurichten.

Werden die natürlichen aggressiven Strebungen eines Kindes von den Eltern zu nachhaltig unterbunden, muss das Kind diese aus Angst vor Bestrafung durch die Eltern unterdrücken.

Freud fokussierte dann im Jahr 1930 eine angeborene aggressive Neigung des Menschen zur Destruktion und Grausamkeit. Bei diesem Modell stehen sich daher Eros, der Lebenstrieb und Destrudo, der Todestrieb als Urtriebe gegenüber. Nach Freud entsteht menschliches Verhalten durch das Zusammenspiel dieser beiden Triebstrebungen. Das Ziel des Todestriebes bestünde darin, das Lebendige zum Tode zu führen. Doch so leicht erreichte der Thanatos (Gott des Todes) sein Ziel nicht, da sein Gegenspieler Eros ihn unschädlich machte, indem er ihn gegen Objekte in der Lebenswelt richtete. Unsere Aggressionen gegen die Außenwelt seien aber in der Regel nicht so stark, wofür kulturelle Errungenschaften mitsamt deren Normen verantwortlich seien, die die Instanz “Über-Ich”, also unser Gewissen, überwachte. 

Der Mensch versuchte daher, Aggressionen sublimierend zu verarbeiten (auf eine höhere, feinere Ebene zu bringen). Sie würden in der Folge nach innen, gegen sich selbst gerichtet. Im Thanatos würde eine ständig treibende Kraft vorliegen, welche Spannung erzeugte, und die wieder abgebaut werden müsste. Die einzige Möglichkeit, diese Energie zu kanalisieren, bestünde daher im Versuch, die aggressiven Strebungen in moralisch annehmbare Formen zu verwandeln und sie so auf kulturell akzeptierte Weise abzuleiten. Für diesen Vorgang stehen laut Freud Abwehrmechanismen, wie Sublimierung, Projektion, Verschiebung oder Hemmung zur Verfügung. Aggressive Impulse werden permanent innerlich erzeugt, stauen sich auf und drängen nach Entladung. Siehe zu diesem Themenkomplex auch das folgende Arbeitsblatt von Werner Stangl: arbeitsblaetter.stangl-taller.at/EMOTION

„Wir wissen heute, dass diese (oft sogar in mörderischen Phantasien sichtbar werdende) Aggression mit Besonderheiten des Grundkonfliktes und strukturellen Besonderheiten des Depressiven zusammenhängt. Die massiven aggressiven Phantasien werden jedoch nicht in die Tat umgesetzt, sondern autoaggressiv abgewehrt: Selbstvorwürfe, Anschuldigungen, Selbstanklagen, Nahrungsverweigerung, Selbstverstümmelung, Suizidalität, schließlich Selbstmord.“ (Stavros Mentzos, 1982)

Die Psychoanalytiker gehen schulenübergreifend bei depressiv Erkrankten grundsätzlich meines Erachtens in erster Linie von folgender Psychodynamik aus: Werden die natürlichen aggressiven Strebungen eines Kindes von den Eltern zu nachhaltig unterbunden, muss das Kind diese aus Angst vor Bestrafung durch die Eltern unterdrücken. Das Kind passt sich daher den Eltern an, da es Angst hat, diese zu verlieren. In der Folge werden die Aggressionen nach innen gerichtet, also gegen das Selbst beziehungsweise autoaggressiv verarbeitet.