Psychologie Kulturkritik

Aussteiger

15 Mai 2018

Markus Thiele

Aussteiger

Den Schatten, den die Jalousien im Büro spenden, gegen den unter Palmen eintauschen, die schwerwiegende berufliche Entscheidung mit dem Fang eines schweren Fisches für die Abendmahlzeit ersetzen. Anstelle der Ansage auf der Konferenz die Absage an sein streng reguliertes Leben formulieren. Und was wäre eigentlich gegen den Duft ätherischer Öle anstelle des Geruchs des Büroflurs einzuwenden?

Ernst Blochs Hauptwerk „Das Prinzip Hoffnung“ (zwischen 1954 bis 1959 veröffentlicht), bezeichnet diese sogenannten Tagträume im Gegensatz zu den Nachtträumen als Zustände, in denen sich reale Zustände resultierend aus Alltags- und Arbeitsumständen mit einem Wunsch und noch stärker der Hoffnung verknüpfen, diese in einen besseren Zustand zu überführen.

Was bietet sich an, um nicht vom Schreibtisch in den Tagtraum abzugleiten, sondern einem traumhaften Tag dabei wirklich näher kommen zu können?
Eine Möglichkeit ist das „Sabbatical“ (mit etwas aufhören, innehalten), das ursprünglich ein Human Relations-Instrument ausschließlich für Führungskräfte war, auch im wissenschaftlichen Betrieb als Forschungszeitraum genutzt wurde, mittlerweile aber eine „kollektive Phantasie“ ist. Das „Sabbatical“ wird umgangssprachlich als Auszeit vom Beruf bezeichnet und ist begriffsgeschichtlich in der Bibel verankert: „Sechs Jahre sollst du dein Feld besäen und sechs Jahre deinen Weinberg beschneiden und die Früchte einsammeln. Aber im siebenten Jahr soll das Land dem Herrn einen feierlichen Sabbat halten.”

Was sich hinter der Idee verbirgt, aus seinem mitunter fordernden und auf Leistung ausgerichteten Alltag auszusteigen, in dem gesät und gesammelt wird, diesen zu entschleunigen, den Akku mal wieder aufzuladen, ist jedoch im Grunde noch mehr als die Auszeit von der Alltagszeit. Denn nicht jedes Gefühl der Erschöpfung und Überarbeitung ist mit dem Prinzip Erholung zu regulieren.

Tatsächlich Aussteiger auf Zeit zu sein, solange das Bewusstsein nicht darüber informiert ist, dass beim Wiederkommen nicht ohne weiteres das Neue im Alten zu finden ist, birgt seine Tücken in sich und führt nicht unbedingt zum heiß ersehnten Ziel.

Das Bedürfnis, das Irgendwo gegen das Nirgendwo einzutauschen, ist vielmehr die im Menschen konkret veranlagte Triebkraft der Utopie, die sich nicht zufrieden gibt, sondern verheißungsvoll nach der Vollendung eines idealen Zustandes trachtet.

Die konkrete Situation im Arbeitsmodus gegen eine grenzenlose Phantasie des Travellers einzutauschen kann aber in genau diesem Sinne auch ein nicht bewusstes Abwehrgeschehen sein und schlussendlich das Arbeitsprinzip mit gleichen Mitteln auf das Auszeitprinzip übertragen.

Ein derartiges Gedankenspiel, die hiesige gegen eine entgegengesetzte Welt einzutauschen, um den Wunsch einer unbeschwerten Selbstfindung näher zu kommen, ist auch bei Bloch ein Thema: „Ihr utopistisch übersteigertes Ego baut sich und das Seine als Luftschloss in ein oft verblüffend unbeschwertes Blau.“

Tatsächlich Aussteiger auf Zeit zu sein, solange das Bewusstsein nicht darüber informiert ist, dass beim Wiederkommen nicht ohne weiteres das Neue im Alten zu finden ist, birgt seine Tücken in sich und führt nicht unbedingt zum heiß ersehnten Ziel. Auch die Aussicht darauf, im begrenzten Auszeitmodus die nötige Balance herstellen zu können, berechtigt nicht die Dysbalance, im „Hier und Jetzt“ weiterhin Sisyphos-mäßig auszuhalten.

Es ist manchmal das Nadelör, durch das sich das „Noch-Nicht-Bewusste” (E. Bloch) an die Bewusstseinsgrenze drängt, und nicht die unendliche Weite einer Phantasie seiner Selbst als Weltreisender, die die Umstände mehr oder weniger verändern kann. Essentiell ist dabei jedoch immer das Entwicklungspotential, das in der Zukunft steckt, seismographisch wahrzunehmen. Und wenn das dann doch bedeutet, Aussteiger auf Zeit zu werden, ist es wichtig, den Ausstieg nicht mit einer Flucht zu verwechseln.