„Der Mensch mag zwar frei in einem Meer aus Möglichkeiten dahintreiben, ist aber an den Körper, mit dem, und an das Wasser, in dem er schwimmt, gebunden.“ (Bregje Hofstede)
Die westliche Kultur glaubt an den Geist. Spätestens seit Descartes berühmtem Diktum, dass wir sind, weil wir denken, neigen wir dazu, den Geist dem Körper Vorrang einzuräumen. Von Kant und Fichte über Nietzsche bis Heidegger – das Denken bestimmt, was der Körper tut. Wir müssen nur kühn genug entwerfen, dann wird die Materie schon folgen. So ist auch unsere gegenwärtige Kultur eine des Phantasmas von der Machbarkeit des Möglichen. Der „neue Geist des Kapitalismus“ mobilisiert Autonomie und Kreativität bis zu den Grenzen des Machbaren. Wo diese erreicht sind, folgt der Burnout, die totale Erschöpfung von Körper und Geist.
„Meine Beine sind schwer wie Sandsäcke. (…) Mein Kopf ist ein dunkler Dachboden, auf dem ich umherirre, ohne die Luke mit der Leiter nach unten zu finden.“ (Bregje Hofstede)
Burnout – der Begriff wird häufig mit zu viel Arbeit in Verbindung gebracht. Der Soziologe Robert Karasek spezifiziert, dass es sich dabei um psychosoziale Arbeitsbedingungen handelt. Die Kombination aus hohen Arbeitsanforderungen und fehlendem Handlungsspielraum sind für ihn entscheidend – dabei ist es gerade die Illusion der Möglichkeiten, des grenzenlosen Spielraums, die erst zum Burnout führt. Denn den Mangel an Selbstermächtigung erleben wir dann, wenn wir uns als omnipotent phantasieren, wenn der Geist nicht an die Grenzen des Körpers gebunden zu sein scheint. Das Leben ist dann eine Last, die nur ertragen wird. Burnout ist nicht das Resultat eines Zuviel der faktischen Arbeit. Burnout ist das Resultat eines Übermaßes des Möglichen.
Die Symptome eines Burnouts treten meist im Laufe einer Abwärtsspirale auf und können als Warnungen von den Folgen der aktuellen Lebensführung begriffen werden. Der Zusammenbruch, das „Systemversagen“, ist meist ein initialer Moment. Was sich zunächst als Stresssymptomatik verbuchen ließ, wird erst dann in seinem ganzen katastrophalen Ausmaß deutlich.
Der Begriff „New Work“ bezeichnet ein modernes Arbeitsverständnis. New Work basiert auf: Freiheit, Selbstständigkeit und Teilhabe. Hier spricht man nicht mehr von Work-Life-Balance, einem Konzept, das von der Sozialwissenschaftlerin Nancy Lockwood 1986 in den USA geprägt wurde und eine gleichberechtigte Balance von Leben und Arbeit anstrebt, sondern von Work-Life-Blending. Gemeint ist, dass Privat- und Berufsleben immer mehr vermischt werden. Das Konzept ist die Konsequenz aus den an die Digitalisierung und Globalisierung angepassten Arbeitsstrukturen, und verheißt Flexibilität, lässt aber auch vermuten, dass sie – falsch gelebt – zu Überforderung führen kann. Arbeitstools wie Asana, Redbooth oder Adobe Workfront bieten Funktionen, die Unternehmen darin unterstützen sollen, erfolgreiches Work-Life-Blending zu etablieren.
Selbstbestimmtheit ist nicht gleichbedeutend mit Selbstwirksamkeit. Selbstwirksamkeit (self-efficacy) beschreibt das Vertrauen in die eigene Handlungswirksamkeit und die Überzeugung dadurch Probleme lösen zu können. Alain Ehrenberg schreibt in seinem 2004 erschienen Buch „Das erschöpfte Selbst“ über die gesellschaftliche Dimension, die ein Burnout hat: „Die Verbreitung von Erschöpfungszuständen ist gewissermaßen ein Resultat einer ‚Verwechslung‘, die den Menschen nahegelegt ist: Die Zuweisung von Eigeninitiative und Eigenverantwortung wird mit dem Schwinden bevormundender Strukturen gleichgesetzt; daraus resultieren notwendig Allmachtsphantasien bei den Einzelnen.“ Insofern leiden wir in einer Gesellschaft, die Überproduktion und ständige Kommunikation fördert, an einem Übermaß an Positivität und dem Phantasma alles zu können, wenn wir nur genug tun.
Burnout ist also längst kein Phänomen aus Managerreihen mehr oder eines, das auf die Schwäche des Workaholics zurückzuführen wäre. Es ist ein Symptom der Fremddisziplinierung und einer falsch verstandenen Freiheit.
Das Credo des „Du kannst alles schaffen“ ist mit der Pflicht des Einzelnen verbunden, seine mehr oder weniger imaginierten Ressourcen einzusetzen. Es besagt im Kern: Wenn Du nicht alles schaffst, ist es deine Schuld. Nur ist es dabei eben nicht unerheblich, einen flexiblen und schonenden Umgang im Einsatz der eigenen Ressourcen eingeübt zu haben, um nicht der bloßen Pflicht anheimzufallen: Get the best out of yourself! Byung-Chul Han formuliert in seinem bemerkenswerten Essay „Müdigkeitsgesellschaft“, dass der Mensch vor allem an Positivität leide, an einem Übermaß an „Überproduktion, Überleistung und Überkommunikation.“ Allein die Herausforderung verschiedene Kommunikations-Skills auszubilden und zu nutzen und unterschiedliche Kommunikationskanäle zu bedienen, führt zu einer Abstraktion der eigentlichen Botschaft, die den eigenen Akku gewissermaßen unbemerkt zusätzlich zu den äußeren Belastungen schwächen kann.
Burnout ist also das Ergebnis einer Allmachtsphantasie, ein Symptom der Enttäuschung des „Ich kann alles sein, wenn ich es nur will. Ich muss mich nur genügend anstrengen.“ Diese Phantasie ist allerdings eine Zwangsphantasie. Burnout ist also längst kein Phänomen aus Managerreihen mehr oder eines, das auf die Schwäche des Workaholics zurückzuführen wäre. Es ist ein Symptom der Fremddisziplinierung und einer falsch verstandenen Freiheit. Das smarte Leben wird zum Feind der Lebenden.
Bregje Hofstede erlitt selbst einen Burn-out und schreibt in „Die Wiederentdeckung des Körpers“, dass ihr Körper nicht länger an den Dualismus glaube. Die Autorin führt aus, sie sei lange davon ausgegangen, dass ein freier, körperloser Geist Freiheit bedeuten würde (mind over matter) – bis zu dem Moment, in dem sowohl ihr Körper als auch ihr Geist in den Streik zogen.
Burnout wird meist individuell behandelt mit dem Gehen des Jakobsweges, Lavendelöl vor dem Einschlafen, Achtsamkeitsübungen, Yogasessions, Sabbaticals und homöopathischen Heilmitteln für die Handtasche oder mit Klinikaufenthalten. Aber wie kann Burnout nicht als Ineffizienz empfunden werden, wenn bei all den Versuchen der totalen Erschöpfung endlich Erholung entgegenzusetzen, die neoliberale Gesellschaft ihren Machbarkeitsethos auch dann noch in Arbeits- und Gesellschaftsstrukturen etabliert, wenn der Lavendel längst aufgebraucht ist? Diese kompensatorische Behandlung ist letztlich nur eine weitere Möglichkeit, die das Rad am Laufen lässt.
Den verinnerlichten paradoxen Freiheitsbegriff zu hinterfragen und Zielsetzungen neu zu definieren, ist anspruchsvoll. Die Erholung von einem Burnout ist ein langwieriger Prozess. Ein Burnout gleicht nämlich einem Infarkt der Körper-Geist-Beziehung, er ist eine Unterbrechung des gegenseitigen Versorgungsflusses. Nach einem Burnout ist daher nicht das Auftanken entscheidend, sondern es geht zunächst vielmehr um die Abkehr von dem Raum, der den Burnout hervorruft: „Es ist nicht der leere Tank, sondern der übervoll geistige Raum, der letztlich zum Burnout führt.“ Den Burnout lassen wir erst dann hinter uns, wenn wir einen Pakt mit dem Faktischen schließen und den vermessenen Anspruch aufgeben, alle denkbaren Möglichkeiten realisieren zu können.