Psychologie Kulturkritik

Narzissmus als Antriebskraft in der Psychotherapie

26 März 2019

Markus Thiele

Narzissmus als Antriebskraft in der Psychotherapie

„Dem Ich muss alles fremd sein, was nicht Ich ist, und als Ich muss es wiederum diese Fremdheit aufheben, die sich zwischen (…) das Wollen, das letzthin immer nur sich selbst will, eindrängt.“ (Walter Schulz)

Vorausgesetzt der Aussage, dass das Ich sich immer nur selbst befriedigen wolle, haftet Wahrheit an, dann haben wir es hier mit einer recht unangenehmen Tatsache zu tun. Um diese nicht direkt ins Gegenteil verkehren zu müssen, indem man sich die Taten scheinbarer Selbstlosigkeit (Altruismus) vor Augen führt, kann aber die psychoanalytische Definition und Kontextualisierung dem Begriff Narzissmus die Stigmatisierung und Selbstbeschimpfung wieder austreiben.

Allgemeinhin gilt Narzissmus als Selbstverliebtheit. Narzissmus nach Freud ist die andere Seite der Medaille, die dieser sich mit dem Egoismus teilt. Der Narzissmus ist die libidinöse Ergänzung des Egoismus: „Wenn man von Egoismus spricht, hat man den Nutzen für das Individuum ins Auge gefasst, sagt man Narzißmus, so zieht man auch seine libidinöse Befriedigung in Betracht.“ (S. Freud)

Egoismus als Selbstkonstitution und -erhaltung ist ebenso in der psychischen Struktur angelegt wie der Narzissmus als lustorientierte Strebung. Das sich nicht bewusst auf die Welt beziehende Kind geht komplett in einem mit Libido gefüllten Becken auf (primärer Narzissmus). Auf Kindergeburtstagen will jeder das erste Stück vom Kuchen. Erst im Laufe der Entwicklung richtet sich die Libido dann auf Liebes-Objekte. Wird diese gehemmt (entweder in sich selbst oder bei dem Gegenüber), richtet sich diese wieder auf sich selbst (sekundärer Narzissmus).

Wen, wenn nicht sich selbst, hat der Narzisst denn dann geliebt, wenn das, was dann ins Bewusstsein rückt, gar nicht mehr nur liebenswert erscheint?

H. Kohut stellt das Selbst in den Mittelpunkt des seelischen Universums. Im Gegensatz zu Freud behauptet er eine eigenständige Entwicklung des Selbst nebst der der Sexualität. In seiner „Selbstpsychologie” sind auf dieser Grundannahme Behandlungsansätze für narzisstische Bedürfnisse nach Spiegelung, Wertschätzung und Anerkennung integriert. Zurück zum Kindergeburtstag: Kohut benennt die Spiegelung und Bestätigung der Eltern des narzisstischen Verhaltens des Kindes als Grundbedürfnis nach Responsivität. Pathologischer Narzissmus kann also entstehen, wenn die wertschätzenden und aufbauenden „Antworten“ der Eltern ungenügend bleiben und das Kind somit auf anderen, meist recht beschwerlichen Wegen Wertschätzung und Anerkennung suchen muss.

Narzissmus wird bei Heinz Kohut auch als „Widerstand und Antriebskraft in der Psychoanalyse“ untersucht. Hierbei gilt Narzissmus zum einen als anerkannter Widerstand gegen die psychoanalytische Behandlung. Die Erkenntnis, eine analytische Behandlung beginnen zu müssen, geht einher mit einem innerlichen Sträuben gegen die dafür vorliegenden Gründe. Zum Beispiel einen vermeintlich unliebsamen Teil in sich zu entdecken, von dem man noch keine bewusste Kenntnis hat. Wen, wenn nicht sich selbst, hat der Narzisst denn dann geliebt, wenn das, was dann ins Bewusstsein rückt, gar nicht mehr nur liebenswert erscheint?

Aus dem narzisstischen Widerstand selbst ist noch nicht definierbar, um welche ursprünglichen Konflikte es sich handelt: Entweder verdeckt dieser „Konflikte im Bereich der Objekttriebe“ oder er verweist auf eine narzisstische Störung. Auf jeden Fall konzentriert sich der Patient weniger auf die Details der Motivation eine Psychotherapie zu beginnen und ist vielmehr mit seinem verletzten Stolz und seiner Scham beschäftigt, diese zu benötigen.

Narzissmus kann nach Kohut aber genauso Antriebskraft in der Analyse sein. In diesem Fall sind zwar auch Widerstände vorhanden, jedoch ist der Analysand immer wieder dazu bereit, dem Analytiker sein „bedürftiges Größen-Selbst“ zu zeigen und sich dem „Selbst-Objekt Analytiker zu Lob, Bespiegelung und Bestätigung“ anzubieten oder …“er sucht im Selbst-Objekt Analytiker ein idealisiertes Selbst, mit dem es verschmelzen kann.“ (H. Kohut)

Narzissmus ist also zweierlei: Die Anlage zur notwendigen Selbstliebe und -spiegelung oder aber auch eine pathologische Störung und somit entweder Widerstand oder Antrieb im psychotherapeutischen Prozess.