Psychologie Kulturkritik

Beziehung und Beziehungsunfähigkeit

26 Dezember 2019

Markus Thiele

Beziehung und Beziehungsunfähigkeit

„Das führt dazu, dass wir uns selbst zuwenden und uns ständig mit unserer eigenen Psyche beschäftigen. Wir suchen den Fehler in unserem Selbst. Und die kognitive Psychologie zeigt: Wenn wir zu viel Auswahl haben, ruft das entweder Entscheidungsunfähigkeit oder Leidenschaftslosigkeit hervor. Wir können keine klare Auswahl mehr treffen. Im Ergebnis zersetzt zu viel Auswahl unsere Fähigkeit, uns zu binden.“

Eva Illouz macht in ihrem Buch „Warum Liebe weh tut“ für den Bruch von Beziehungen nicht nur persönliche, sondern auch gesellschaftlich-strukturelle Probleme verantwortlich. Jedoch ist jede Thematik, die sich aus strukturellen Problemen in das persönliche Leben mischt, letztlich doch ausschließlich als persönliches Problem erfahrbar.

Die sogenannte „Beziehungsunfähigkeit” ist allerdings nicht nur Problem, sondern auch: Ausrede, Gewissenserleichterung, Grund zur Melancholie, Vorwurf an die Eltern, Identifikationsmerkmal, Grund, eine Therapie zu beginnen, Grund, genau diese wieder abzubrechen. Beziehungsunfähigkeit ist also ein Begriff, der durch seine Schlagkraft herangezogen werden kann, wenn es eng wird.

In der Psychologie hat der Begriff der „Beziehungsunfähigkeit“ keine klare Verwendung. Auch das Konzept der Promiskuität, das das Problem beschreibt, Liebesbeziehungen nicht aufrecht erhalten zu können, wurde durch den Fokus auf Traumata, Bindungs- und Persönlichkeitsstörungen sowie angeborene Entwicklungsstörungen ersetzt. So geht es vielmehr um die Frage: Welche Angst verhindert die gute Beziehung?

Die Beziehung zwischen Therapeut und Patient ist der entscheidende Faktor des Verlaufs der Therapie. Insbesondere im analytischen Verhältnis wird dieses Verhältnis als Wirkfaktor in die Gespräche stark mit einbezogen und reflektiert.

Doppelt komplex wird die Angst, die Beziehungen verhindert, wenn sie erkannt wird und die Entscheidung, diese therapeutisch behandeln zu lassen, gefallen ist. Denn genau diese Angst nährt sich auch im Therapeuten-Klienten-Verhältnis. Die Beziehung zwischen Psychotherapeut und Patient ist in komprimierter Form die Wiederholung des „alten“ Beziehungsverhaltens, das so erkennbar, analysierbar und veränderbar wird. Die Beziehung zwischen Therapeut und Patient ist der entscheidende Faktor im Therapieverlauf. Insbesondere in der psychoanalytischen Behandlung wird diese Beziehung als Wirkfaktor in die Gespräche mit einbezogen und reflektiert.

Ist das Beziehungsverhalten jedoch durch ein Nähe-Distanz-Problem gekennzeichnet, eines, das z. B. ab einem bestimmten Grad der Nähe zu radikaler Distanz führt, ist der Therapeut nicht mehr nur Analytiker, sondern durch die Projektion auch davon betroffen. Nicht selten kommt es dann zu regelmäßigem Distanzverhalten zur Therapie durch Absagen oder auch zu dem Entschluss diese vorzeitig zu beenden.

Ein Therapieabbruch ist häufig nicht eindeutig als Wiederholung von „gestörten“ Beziehungssystemen zu erkennen. Denn er kann auch als berechtigte Kritik am Psychotherapeuten gesehen werden. Der Patient auf der Flucht wird in der Regel keinen Aufschluss mehr darüber geben können, aus welchem Grund die Therapie beendet wurde. Bleibt das Therapieverhältnis allerdings bestehen, bleibt damit auch die Chance aufrecht erhalten, eine „Beziehungsunfähigkeit“ in die Fähigkeit zu verwandeln, Beziehungen selbstreflektiert leben zu können.