Der gute Wunsch zum Jubiläum „Bleib gesund“ hat in den letzten zwei Jahren den Abstieg von der Festtags-Floskel zur Alltags-Floskel geschafft. Die Gesundheit des Individuums bleibt aber die Grundlage dafür, ein selbstbestimmtes, gutes Leben führen zu können.
Im viralen Kontext ordnet sich die Gesundheit des Individuums allerdings der Gesundheit der Bevölkerung unter: Wer Kontakt zu einer Person hatte, die mit SARS-CoV-2 infiziert oder man es gar selbst ist, muss sich per staatlicher Anordnung in häusliche Quarantäne bzw. Isolation begeben. Nicht die individuelle Einschätzung, wann die Krankheit überstanden ist, gilt nunmehr, um als gesund zu gelten, sondern ein Test gibt an, wann dies der Fall ist.
Der Körper – als Träger des Selbst – wird zum Übertragungskörper. Die Einflussnahme der eigenen Gesundheit auf den Gesundheitsstatus einer ganzen Bevölkerung bekommt ein Ausmaß, das wohl erst in Zeiten, in denen ein Virus Hochkonjunktur feiert, Prominenz erlangt.
Foucault datiert das Entstehen der Biopolitik als „eine seit dem 18. Jahrhundert in Europa erstarkende Form der Regierung von Menschen“, schreibt Sebastian Krach in „Kritik der Biopolitik“. Unter dieser Prämisse ist der Begriff der Biopolitik bekannt geworden, und er lässt sich unbedingt auf die aktuellen politischen Entwicklungen anwenden.
Foucault beschreibt Biopolitik als eine Entwicklung, in der das Leben oder wie Agamben sagt: der „nackte“ Körper als solches sukzessive Gegenstand der Politik wird. Der Körper wird in den Fokus des Politischen gerückt und das sich daraus entwickelte Recht auf Gesundheit ist nunmehr mit mehr oder weniger expliziten Disziplinierungstechniken verknüpft. Diese Gesundheits-Politik ist auf das Überleben und die Optimierung des bloßen Lebens ausgerichtet. „Der Tod hört auf, dem Leben ständig auf den Fersen zu sein“, schreibt Foucault in „Sexualität und Wahrheit“. Doch die unbedingte Erhaltung des Lebens, kann auch in eine aseptische Hygiene umschlagen. „Das Leben (bíos) und die Lebensfähigkeit der Population steigern zu wollen, hat zur Folge, dass das Leben keine Gnade mehr ist, die das Recht gewährt (…), sondern eine Aufgabe, die zu erfüllen ist“, interpretiert Thomas Bedorf Foucaults Begriff der Biopolitik.
Als Gesundheitsparadox bezeichnet man das soziale Phänomen, dass der Gesundheitszustand der Bevölkerung zwar kontinuierlich besser wird, gleichzeitig aber Krankheitsängste und Gesundheitszwänge zunehmen, wobei gesundes Essen, der perfekte Körper, Schönheitsideale, exzessiver Sport, Wellness usw. immer häufiger zum Zwang werden, der sogar pathologische Formen annehmen und jedes Wohlbefinden verhindern kann.
Aktuelle biopolitische Maßnahmen wollen die Gefahr für das Leben einer Bevölkerung reduzieren, womit der Eingriff in individuelle Freiheitsrechte inkludiert ist. Das ist die neue Freiheit, die das Gesundheitsparadox hervorbringt. In dieser Freiheit kann man sich bewegen, wenn man hinsichtlich des Corona-Virus als gesund gilt. Gesund soll die Masse der Menschen sein und dafür wird in Kauf genommen, dass die persönliche Freiheit beschränkt wird. Gesundheit wird dadurch in den politischen Entscheidungszirkel aufgenommen, zugleich aber die individuelle Freiheit in radikaler Weise eingeschränkt.
Mentale Gesundheit, die auch auf die körperliche Stabilität wirkt und das Immunsystem beeinflusst, wird gegen die Viruslast im Körper gerechnet – und verliert den Zweikampf. Oft zitierte Beispiele von mehrköpfigen Familien auf engstem Raum in Quarantäne, von Singles, die ihr Sozialleben einschränken müssen, Menschen in Altenheimen oder in Krankenhäusern, die ihre Angehörigen nicht mehr treffen können, Kindern, die nicht zur Schule dürfen, verdeutlichen die Paradoxien. Um jeden Preis gesund sein zu wollen, kann auch heißen, diesen Anspruch mit seiner Gesundheit zu bezahlen.
„Als Gesundheitsparadox bezeichnet man das soziale Phänomen, dass der Gesundheitszustand der Bevölkerung zwar kontinuierlich besser wird, gleichzeitig aber Krankheitsängste und Gesundheitszwänge zunehmen, wobei gesundes Essen, der perfekte Körper, Schönheitsideale, exzessiver Sport, Wellness usw. immer häufiger zum Zwang werden, der sogar pathologische Formen annehmen und jedes Wohlbefinden verhindern kann“, so im „Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik” zu finden.
Keine Politik ohne Leerstellen. Ein universelles und staatliches Credo, das heißt: „Du sollst gesund sein“, birgt die Gefahr in sich, seinen Körper privatisieren zu wollen. Biopolitische Entscheidungen wie etwa eine Impfpflicht können auch als Bedrohung für die eigene Gesundheit wahrgenommen werden, wobei eben gerade das Recht auf Gesundheit dafür als Argument angeführt wird. Der neue Mensch wird offensichtlich dazu verdammt, gesund zu sein, womit Gesundheit sich in ihr Gegenteil verkehrt: das ist nicht weniger als das Gesundheits-Paradox.