Ambivalenz scheint das Wort der Stunde zu sein, sucht man nach Erklärungsansätzen, die der Komplexität von Lösungen auf der Spur sind.
„Je mehr Energie für die Beseitigung von Ambiguität aufgewendet wird, desto mehr Ambiguität entsteht im Verhältnis zur jeweils beseitigten Ambiguität“, schreibt Thomas Bauer in “Die Vereindeutigung der Welt“.
Ambiguität, als Mehrdeutigkeit verstanden, ist hier dem Aspekt von Ambivalenz, dem Zustand von Zwiespalt und Spannung, zuzuordnen. Es ist nicht das häufig zitierte ewige Hin und Her. Vielmehr ist es das innere Hin und Her, bei dem die Überzeugung vorherrscht, es müsse Position im Rahmen eines mehrdeutigen Zustandes bezogen werden, um das Spannungsverhältnis aufzulösen.
„Klug, wissend, vernunftbegabt. So sehen wir uns selbst. Darum haben wir uns auch den Namen “homo sapiens” gegönnt. Streng genommen müssten wir jedoch „homo sapiens et ambivalens“ heißen: Der wissende und widersprüchliche Mensch.“ (Simon Demmelhuber)
Oder anders gesagt: Der Mensch ist antagonistisch hinsichtlich Liebe und Hass, bezüglich Meinungen und Affekten. Der Psychologe Eugen Bleuler hat Ambivalenz diesen drei Gebieten zugeordnet: Dem des Willens (Ambitendenz), dem des Intellekts, dem des Affekts. Darüber hinaus liest er Ambivalenz als Hauptsymptom eines schizophrenen Krankheitsbildes. Freud wiederum liest Ambivalenz als bestimmte Stufe der Libidoentwicklung, auf der Idealisierung und Dekonstruktion des Liebesobjekts eine Rolle spielen.
Unter dem Begriff double-bind-Theorie wird von Bateson angemerkt, dass ambivalentes Verhalten der Eltern gegenüber dem Kind der Entstehung schizophrener Krankheitsbilder Vorschub leistet.
Dieses ambivalente Dilemma kann damit verglichen werden, sich im Notfall (SOS) selbst noch die Farbe des Rettungsbootes aussuchen zu wollen.
Ambivalenz zeigt sich auch dann, wenn man sich trotz klinischer Symptomatik und einem Leidensdruck nicht für einen Psychotherapeuten entscheiden kann. Dieses ambivalente Dilemma kann damit verglichen werden, sich im Notfall (SOS) selbst noch die Farbe des Rettungsbootes aussuchen zu wollen. Das eigentliche Dilemma ist ein anderes, als das der Entscheidungsunfähigkeit.
Die Entscheidungsunfähigkeit am Rande der Leidensgrenze berührt die Schamgrenze. Immer noch spielt die Stigmatisierung eine Rolle hinsichtlich der Scham, therapeutische Hilfe zu beanspruchen. Die Erkenntnis, therapeutische Behandlung zu benötigen, triggert ein ambivalentes Heilungsbedürfnis: Einerseits besteht das Bedürfnis nach Heilung. Andererseits kann die Identifikation mit dem Leid so groß sein, dass die Entscheidung für einen Therapeuten, den Verlust eines schmerzhaften Zustandes bedeutet, der ebenso als Verlust empfunden wird wie der Abschied von einem guten Zustand.
Die Wahl des Therapeuten ist eine vielschichtige Entscheidung, die es behutsam zu treffen gilt. Trotzdem ist eine herausgeschobene Erwartung von Heilung davon zu unterscheiden, denn Neurosen auf offener See mit Schiffbruch haben noch niemanden sicher ans Land gebracht.
Auch hinsichtlich der Wahl der Therapeuten gilt es, Ambivalenz letztlich als Ja-Nein-Haltung zu beziehen, da sonst die Gefahr besteht, im ewigen Nein zu verharren:„Ambiguität, die bereichert, findet nur zwischen den Polen Eindeutigkeit und unendlich vielen Bedeutungen statt. Es kommt auf das rechte Maß an.“
Eine schließliche Entscheidung für einen Therapeuten basiert daher auf der Erkenntnis von Ambivalenz und dem Anerkennen eines offenen, quasi unperfekten Heilungsverständnisses und eben gerade nicht auf der Nivellierung dieser Erkenntnis.