Psychologie Kulturkritik

Selbstoptimierung

26 August 2020

Markus Thiele

Selbstoptimierung

Der Unterschied zwischen einem Lebenskünstler und einem Selbstoptimierer ist nicht, dass sie unterschiedliche Ziele verfolgen, sondern letzterer die Kilometer und den Energieverbrauch auf dem Weg dorthin getrackt hat.

Human Enhancement bezeichnet die selbstbestimmte Weiterentwicklung des Menschen mithilfe wissenschaftlicher und technischer Mittel. Selbstoptimierung in Verbindung mit Technologieentwicklung propagiert die Überwindung des Menschen als das Menschlichste des 21. Jahrhunderts. Der Umbau zum Cyborg ist längst nicht mehr Science-Fiction, sondern Teil unserer Realität.

Es ist aber nicht nur der Körper, dessen Leistung erfassbar und in Konkurrenz zu eigenen oder fremden Leistungen gestellt wird, sondern im eigentlichen Sinne das Verhältnis zu sich selbst, welches der Optimierung als Gegenstand dient.

Sich selbst zu vergegenständlichen ist nicht nur insofern Sisyphos-Arbeit, als das zu Optimierende durch den zu Optimierenden selbst optimiert werden soll. Wessen Ansprüche stets über die Gegebenheiten hinausreichen, dessen Scheitern ist inkludiert. Sind die Ansprüche allerdings profan, besteht die Gefahr der Resignation. Die Philosophin Ariadne von Schirach schlägt deshalb vor, einen Weg zwischen Lebenskunst und Selbstoptimierung einzuschlagen. Da Selbstoptimierung nicht nur ein gut gemeinter Ratschlag, sondern längst als „zeitgenössischer Imperativ“, wie der Psychiater und Psychotherapeut Ulrich Streeck sagt, ins System eingeloggt ist, ist folgendes Problem angezeigt: „Wir können nur das verwerten und verkaufen, was sichtbar, berechenbar und messbar ist. So entsteht ein Ungleichgewicht zwischen der Selbstoptimierung, die ich als Arbeit am Äusseren verstehe, und der Lebenskunst, der Arbeit am inneren Menschen.“

Die Achillesferse der Optimierung ist, dass sie zwischen Optimum (dem vollkommenen, alles übertreffenden Zustand) und dem Optimalen (das Günstigste, Beste unter gewissen Einschränkungen) nicht unterscheiden kann. In ihrer ständigen Verbesserungsmanie ist die Optimierung den Ergebnissen unterlegen, die längst unverbesserlich sind. Doch die Maschine rattert weiter, weil sie als Symbol der Produktivitätssteigerung fungiert.

Problematisch ist, dass Selbstoptimierung keine Grenzen des Mindsets kennt, sondern sein ganz eigenes ökonomisiertes progressives Mindset über alles stellt. Bis hin zur Selbstausbeutung.

„Jenseits von Burn-Out, Einsamkeit und Angst ist doch das Schlimmste an der unablässigen Selbstoptimierung dieser überall bemerkbare Verlust von Lebensfreude. Wir verlernen, uns gehen zu lassen. Die Fähigkeit, Hingabe, Lust und Rausch zu erleben und zu geniessen, kommt uns durch diese dauernde Selbstbeobachtung und -kontrolle abhanden“, sagt von Schirach.

Das Growth Mindset bezeichnet Personen, die sich mit einem dynamischen Selbstbild identifizieren. Es geht davon aus, dass Erfolge mit der Bereitschaft zu lernen und sich weiterzuentwickeln zusammenhängen. Im Gegenteil zum „Growth Mindset“ bezeichnet das Fixed Mindset Personen, die Unzulänglichkeiten als angeboren und unveränderbar betrachten. Sie meiden Herausforderungen, haben große Scheu davor Fehler zu machen und zweifeln an ihren Talenten.

Problematisch ist, dass Selbstoptimierung keine Grenzen des Mindsets kennt, sondern sein ganz eigenes ökonomisiertes progressives Mindset über alles stellt. Bis hin zur Selbstausbeutung. Diese schreibt der Philosoph Byung-Chul Han dem Neoliberalismus zu. Die Krux an der Selbstausbeutung ist, dass es keinen externen Ausbeuter gibt. Das sich selbst erschöpfende System kann nicht erfolgreich rebellieren, sondern verharrt im autoaggressiven Modus. Die Folge dessen bezeichnet er als „Müdigkeitsgesellschaft“.

Der Überich-Druck und die ständige Unrast sich erleben zu müssen können schließlich zu Burn-Out-Symptomen und depressiven Episoden führen. Stellt man Selbstoptimierung unter den Scheffel eines guten Lebens bzw. einer gelungenen Lebensführung, könnte man meinen, dass eine therapeutische Behandlung genau in diesem Fall fehlbar ist, da auch sie zur Optimierung des Selbst beiträgt.

Selbstoptimierung und Sosein bzw. Selbstsein können aber dann möglicherweise in Übereinkunft zu einem gelungenen Leben führen, wenn das Selbst dabei nicht zum Mittel zum Zweck verkommt, sondern als Selbstverhältnis, das sich in Harmonie aber auch Widerspruch befinden kann: Als maßgeblicher Indikator für das individuelle Wohlbefinden.

In Albert Camus’ „Der Mythos des Sisyphos“ gab es zwar noch keine Tracking-Apps, aber bestimmt hätte Sisyphos durch die Ausübung seiner sinnbefreiten Strafaufgabe den High Score erzielt. Die Strafe bestand bekanntlich darin einen Stein immer und immer wieder zur Spitze des Berges zu rollen, der ihm, sobald er ihn sich selbst überließ, den Berg wieder bis zum Fuße hinabgerollt ist. Nur wäre er zu dieser High Score-Jagd für immer verdammt gewesen.