Psychologie Kulturkritik

Grenzen

26 Juli 2022

Markus Thiele

Grenzen

Was sind Grenzen – so wie wir sie kennen und im Alltag wahrnehmen – aus psychologischer Sicht?

Grenzen sind wie ein Rahmen um das Ich. Sie geben uns Halt und Struktur. Im Idealfall ist der Rahmen elastisch, dann fühlen wir uns sicher und sind lebendig zugleich. Oft ist der Rahmen aber zu starr und bildet einen Charakterpanzer aus, sodass wir unbeweglich und rigide werden. Oder der Rahmen fällt gar ganz weg, dann werden wir psychotisch.

Welche verschiedenen Arten von Grenzen gibt es?

Zunächst die Grenze zwischen der Atmosphäre um uns herum und dem Container, der unser eigenes Selbst ist. Diese Grenze ist im Idealfall nicht zu starr und dennoch so elastisch und schützend wie ein Neoprenanzug. Dann gibt es die Grenze, die wie eine Wasseroberfläche zwischen der Spitze des Ich’s und dem, was darunter liegt, schwimmt. Das darunter Liegende ist das, was uns im Kern beeinflusst und antreibt.

Warum ist es wichtig, dass wir Menschen uns abgrenzen?

Ohne Abgrenzung würden wir kein eigenes Selbst entwickeln. Wir fangen schon früh an uns von den Vorgaben unserer Eltern abzugrenzen, wenn wir etwa als 3-Jährige unbedingt ohne Winterjacke rausgehen wollen, obwohl es eiskalt draußen ist. Wenn man und nicht lässt, schmeißen wir uns auch gelegentlich gern auf den Boden. Das machen wir, obwohl wir uns vordergründig damit schaden, um uns von unseren Eltern abzugrenzen. Dieser frühe Trotz ist die Keimzelle von dem, was wir als unsere eigene Persönlichkeit empfinden.

Können eigene Grenzen unser Leben limitieren und uns dadurch hinderlich sein?

Grenzen sind ein Schutzwall, der uns vor Entwertungen und Kränkungen schützt. Oft aber ziehen wir Schranken hoch, um uns zu schützen, die uns aber letztlich hemmen. Diese Hemmung führt dazu, dass wir unsere Optionen nicht ausloten und im altbekannten Terrain und Sumpf feststecken bleiben.

Das kann zu schweren psychischen Störungen führen, wie etwa der Borderline-Persönlichkeitsstörung. Hier gibt es dann keinen Korridor mehr von abgestuften Gefühlen, sondern nur das Wechseln zwischen Extremen: entweder abgöttische Liebe oder abgrundtiefer Hass beispielsweise.

Können eigene Grenzüberschreitungen positiv sein?

Ja, weil wir dann neue Erfahrungen machen können, die wir sonst nicht gemacht hätten. Das erfordert jedoch eine gehörige Portion Mut und im guten Sinne Ungehorsam.

Was macht es psychisch mit uns, wenn unsere Grenzen immer wieder von anderen missachtet werden?

Das kann zu schweren psychischen Störungen führen, wie etwa der Borderline-Persönlichkeitsstörung. Hier gibt es dann keinen Korridor mehr von abgestuften Gefühlen, sondern nur das Wechseln zwischen Extremen: entweder abgöttische Liebe oder abgrundtiefer Hass beispielsweise.

Was ist, wenn ich nie wirklich gelernt habe Grenzen zu etablieren?

Dann werde ich immer wieder dulden, dass andere mich abwerten oder gar entwerten und ich werde mich unter „Wert” verkaufen.

Was bewirkt ein fehlender Schutz von Grenzen?

Dass wir schnell und einfach gekränkt werden können.

Wie und wann können wir Grenzüberschreitungen verhindern?

Indem wir uns selbst einen Rahmen setzen und uns z. B. bei Verabredungen im Vorhinein ein Zeitlimit setzen, wie lange wir mit dem anderen Zeit verbringen wollen. Oder in dem ich etwa als Psychotherapeut einen Zeitrahmen von 50 Minuten pro Sitzung vorgebe und einhalte. Das klingt simpel, ist aber entscheidend. Inhalt braucht immer einen Rahmen.